Dr. Thomas Brotzler
            Fine-Art-Fotografie


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            Nr. 05|2016

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Noch einmal »Wiedersehen mit einem Baum«


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kunstfreunde,

mein letztes Rundschreiben Nr. 04|2016 vom 11. Juni 2016 hatte große Resonanz gefunden. So wurde ich etwa gefragt, ob es noch mehr Aufnahmen zu diesem speziellen Baum gebe, und ob dahinter eine einheitliche Bildidee oder jeweils unterschiedliche Absichten stünden. Ich verfüge tatsächlich über insgesamt vier dieser speziellen Baumporträts und ein jedes beinhaltet eine ganz eigene Vision. Deswegen möchte ich Ihnen diese vier Aufnahmen mit ihrer jeweiligen Gestaltungsabsicht kurz vorstellen - ein Mausklick auf das Vorschaubild öffnet dabei jeweils eine bildschirmgroße Abbildung im Browser.

Mir ist freilich die Gefahr bewußt, ein Bild »zu sehr auszuerzählen« und so den Betrachter allzu sehr in eine bestimmte Richtung der Interpretation zu lenken. Doch andererseits sind »Fragen nach dem Making of« in heutigen Tagen nicht ungewöhnlich und mir aus meinen Workshops und Publikationen vertraut. Ich denke, daß man hierbei ruhig ein wenig über andere Schultern schauen kann, ohne den Anspruch auf eine eigene Sichtweise und Gestaltung aufgeben zu müssen. In diesem Sinne ...

Das erste Bild zeigt nochmals den Baum, wie ich ihn auf meiner ersten Exkursion in die Pyrenäen im Herbst des Jahres 2009 kennenlernte. Die Aufnahme erfolgte mit 35 mm Brennweite, also leicht weitwinklig. Voller Leben und Stolz stand er da, wie ich fand. Schon damals war er etwas nach links gebeugt, somit dem Gefälle und der Windrichtung folgend - und doch wirkte diese Neigung eher wie eine freundliche Geste bzw. eine Verbeugung zur gegenüberliegenden Bergflanke hin. Ich darf noch kurz auf den Himmel hinweisen, dessen Wolken samt und sonders künstlicher Natur sind - es sind neuere und ältere Kondensstreifen, was auf die Bedeutung dieser Region als wichtiges Überfluggebiet zwischen Frankreich und Spanien hinweist und der Szene eine etwas surreale Komponente verlieh.

Das zweite Bild stammt vom Frühjahr 2016. Es ist das erste Bild der neuen Serie, und ich habe darin den Standort und die Komposition des erstes Bildes nochmals nachempfunden. Die Aufnahme war deutlich weitwinkliger, mit 21 mm Brennweite, so daß die Umgebung mehr Raum einnahm und sich die Bergflanken zur Linken in tieferer Staffelung abzeichneten. Wetter und Licht waren diesmal sehr natürlich und im Wechselspiel dunkler Partien und heller Lichtstreifen zugleich sehr dramatisch, wie ich es für meine Landschaftsaufnahmen liebe. Bei solch idealen Bedingungen war es, wie schon geschrieben, ein etwas reuiges und zugleich freudiges Wiedersehen. Mit dem weitläufigeren Blick wollte ich den sich bereits im ersten Bild abzeichnenden majestätischen Stand über dem Tal und den freundlichen Gruß zum linken Gegenhang noch akzentuieren. Zugleich wollte ich aber auch der Alterung des Baumes Rechnung tragen und bildete diesen etwas kleiner und damit verlorener ab.

Nochmals anders zeigt sich das bereits im letzten Rundschreiben vorgestellte dritte Bild. Wir sind optisch um einiges näher dran am Baum, insofern auch seinem Schicksal näher. Die Aufnahme erfolgte mit 28 mm Brennweite. Deutlicher noch zeichnen sich nun Alterung und Angegriffenheit ab, wie im abgebrochenen hinteren Stamm symbolisiert. Ich erkannte darin jenes (schon beschriebene) Gebeugtsein und zugleich Standhalten gegenüber der herabfallenden rechten Bergflanke.

Mit dem vierten Bild komme ich nun zum Abschluß der kleinen Betrachtung. Die Aufnahme erfolgte bei 50 mm Brennweite, insofern rückte der Baum hier noch näher. Ich meine, daß sich gerade an diesem Bild die enormen Gestaltungsmöglichkeiten der Schwarzweißfotografie aufzeigen lassen, die vom »realistischen Abbildungsfluch der Farbfotografie« befreit ist und so die Umsetzung der eigenen Vision und Empfindung vor Ort befördert: So wollte ich hier die trotz aller Alterung und Gebeugtheit noch bestehende Frische und Lebendigkeit des Baumes symbolisieren, und zu diesem Zweck hellte ich das Blätterkleid durch Betonung des Gelb- und Grünkanals auf. Darüber hinaus arbeitete ich die bergige Umgebung des Baumes und den Himmel deutlich heller als auf den anderen Aufnahmen aus, wodurch die Freistellung des Motivs und der Vordergrundstrukturen vom Hintergrund betont wurde.

Ich stehe für Fragen und Diskussionen zu den Bildern gerne zur Verfügung und wünsche Ihnen ansonsten einen schönen Mittsommertag.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Thomas Brotzler

 
21. Juni 2016